Unter der Konsortialführung der EWE AG sind im Jahr 2017 über 30 Mitwirkende angetreten und wollten zeigen, wie ein zukunftsfähiges Energiesystem in der von Windenergie dominierten, nordwestdeutschen Musterregion Aurich, Wittmund und Friesland aussehen kann.
In der Modellregion Aurich, Wittmund und Friesland übertrifft die Leistung der Stromgewinnung aus erneuerbaren Energien den Verbrauch zeitweise um das doppelte. Das klingt nach einer Erfolgsgeschichte, führt in der Praxis jedoch manchmal zu Überfluss in der Leitung, während an wolkenverhangenen, windstillen Tagen Strom aus fossilen Anlagen zugekauft werden muss. Wie dieses Energiesystem intelligenter gesteuert werden kann, dazu hat das Projekt enera viele Ansätze erforscht und Erkenntnisse gewonnen.
Das Vorhaben hat das Bundeswirtschaftsministerium überzeugt. enera ist eines von fünf Projekten, die durch das Förderprogramm SINTEG (Schaufenster intelligente Energie – Digitale Agenda für die Energiewende) unterstützt wurden. Das Projekt enera ist Ende 2020 ausgelaufen, die Ergebnisse sind veröffentlicht.
Energiezukunft mit enera
Vier Jahre lang hat das Projekt enera in einer Modellregion erforscht, ob die Energiewende im Kleinen funktionieren kann. Das Ergebnis: Ein klares Ja, wenn alle Marktteilnehmenden zusammenarbeiten und auf Digitalisierung setzen. Der nächste Schritt: Wie können die Erkenntnisse auf die Energiewende deutschlandweit übertragen werden?
EWE nutzt die Erkenntnisse aus dem Projekt, um die Digitalisierung der Energiewende voranzutreiben. Im Fahrwasser von enera sind bereits konkrete Angebote an den Markt gebracht worden, die in erster Linie den Kundennutzen in den Mittelpunkt rücken und gleichzeitig die Energiewende unterstützen:
- gridlux nutzt künstliche Intelligenz, um Gebiete zu identifizieren, in denen das Glasfasernetz wirtschaftlich erfolgreich ausgebaut werden kann. Das fördert die Breitbandversorgung bundesweit und sorgt somit für die Grundlage der Digitalisierung der Energiewende.
- photono macht aus der Datenflut einen Wettbewerbsvorteil und kann voraussagen, wo Unternehmen die Kundschaft mit besonderem Interesse an ihren Produkten finden. Damit kann beispielsweise der Ausbau von klimafreundlichen Photovoltaik-Anlagen gesteigert werden.
- LiMBO unterstützt Kommunen beim digitalen Energiemanagement. Mit dem Überblick, was in den einzelnen Liegenschaften los ist, können Einsparpotenziale gehoben werden.
Für die gelungene Einbindung von erneuerbaren Energien zu einem funktionierenden Gesamtsystem hat enera auf drei Schlüsselthemen geblickt:
Im Stromnetz findet der Ausgleich der Energiemengen statt. Stromverbrauch und -erzeugung müssen stets im Einklang stehen – und zwar fortwährend und sekundengenau. Das war schon anspruchsvoll, als es noch eine überschaubare Anzahl von großen, fossilen Kraftwerken gab, die konstant ihren Strom ins Netz geliefert haben.
Inzwischen hat sich die Situation grundlegend geändert: Viele dezentrale Anlagen, zum Beispiel Windräder, Blockheizkraftwerke oder Solaranlagen, speisen ihre Energie größtenteils nach Wetterlage in das Netz ein. Ihnen gegenüber stehen die Stromverbraucher, die daran gewöhnt sind, ihre Energie auf Knopfdruck zur Verfügung zu haben.
Um beide Systeme dennoch in Balance zu halten, setzen die Netze immer mehr auf automatische Steuerungen und präzise Sensorik, die kritische Zustände im Netz in Echtzeit erkennen und gegenhalten können. Zunehmend greifen die Netzbetreiber auch zu unkonventionellen Methoden. Zum Beispiel werden flexible Verbraucherstätten wie Kühlhäuser je nach Lage an- oder abgeschaltet, um überschüssige Energie schnell aufzunehmen oder das Netz zu entlasten.
Wie die Energieflüsse im Gesamtsystem noch geschickter dirigiert werden können, hat enera untersucht. Dazu konzentrierte man sich auf die Ausrüstung der Modellregion mit intelligenten Netzbetriebsmitteln, wie die regelbaren Ortsnetztransformatoren, und verbesserte Verbrauchsprognosen.
Durch die enera-App und SAM, ein Kommunikationsmodul konnten die Menschen in der Musterregion an das „Netz der Zukunft“ angeschlossen werden. SAM ist eine Vorrichtung am Zähler, die die Verbrauchsdaten ausliest und an die enera-App kommuniziert. Die App bietet einen komfortablen Überblick über den Energieverbrauch - live oder im Verlauf der Zeit.
Über 700 elektronische Zähler mit dem smarten SAM-Modul wurden installiert. Auch dreizehn Kommunen der Modellregion beteiligten sich an enera und testeten im Projekt ein Verbrauchsmonitoring für kommunale Liegenschaften. So wurden etwa in Schulen oder Verwaltungsgebäuden Stromverbräuche in Echtzeit erfasst und über eine Webanwendung ausgewertet. Das hilft Verwaltungen, den Energieverbrauch zu senken. Die Gemeinde Zetel erhielt als erste den Titel einer Energiewende-Kommune.
Eine Voraussetzung für das Gelingen der Energiewende ist, die Flexibilität auf dem Strommarkt zu erhöhen. Wer eine Solaranlage auf dem Dach betreibt, kann an besonders sonnigen Tagen die Nachbarschaft mitversorgen. Wer in windigen Zeiten spontan große Energiemengen abnehmen kann, etwa um ein Kühlhaus auf Vorrat abzukühlen, leistet durchs Energieverbrauchen einen wichtigen Dienst für das Gesamtsystem.
Das ist eine spezielle Form der „Sharing Economy“ im Energiesektor, also einer Wirtschaft, die darauf baut, dass die Marktteilnehmenden Ressourcen miteinander teilen. In diesem Fall teilen sie ihre Daten und ihre Möglichkeiten, flexibel Energie zu verbrauchen oder zu produzieren.
enera konnte mit der europäischen Strombörse EPEX SPOT, der Leitbörse für Energie, eine neue Plattform für den Handel mit Strom-Flexibilitäten aufbauen und testen. Anstatt die Windkraftanlagen bei Überproduktion abzuschalten, konnten die Netzbetreiber Abnehmer für überschüssigen Strom vor Ort suchen. enera hat gezeigt, dass die große Pariser Börse, auch in einem kleinen Netzgebiet rund um ein Umspannwerk in Ostfriesland zwischen Produzierenden und Abnehmenden vermitteln kann und so noch mehr Strom aus erneuerbaren Energien im Netz fließen kann.
Alle Marktteilnehmenden traten miteinander in den Austausch und konnten Flexibilität aus erneuerbaren Energien, Speichern und Stromverbrauchsanlagen effizient anbieten und nachfragen. Dass dieser Austausch über alle Spannungsebenen hinweg sowohl technisch als auch prozessual funktioniert, ist ein zentrales Ergebnis des Projekts enera.
Um ein Energiesystem steuern zu können, braucht es in erster Linie Wissen. Wissen darüber, was gerade los ist, und Wissen darüber, was als nächstes passieren wird.
Präzise Zustandsbeschreibungen und zuverlässige Prognosen basieren auf Daten. In der Energiewelt gibt es davon schon eine Menge: Verbräuche, Wetterberichte, Kalender, Netzmesswerte. Intelligente Messeinrichtungen bei der Kundschaft und neue Sensoriken an wichtigen Schnittstellen im Stromnetz können künftig noch viel mehr Daten liefern.
Im Datenbereich nutzte enera Data Science Methoden wie Machine Learning, um die Digitalisierung der klassischen Wertschöpfungskette der Energieversorgung zu demonstrieren.
Außerdem entwickelte enera von Beginn an neue digitale Geschäftsmodelle und arbeitete bei der Umsetzung unter anderem mit mehreren Start-ups zusammen. Diese Erfahrungen setzt EWE nun ein, um weitere digitale Lösungen zu entwickeln.